Gefühlt haben Partnerschaften früher länger gehalten als heutzutage. Was ist denn da dran und woran liegt das?
Zu Zeiten meiner Eltern gab es wesentlich stärkere äußere Abhängigkeiten, die eine Trennung erschwert haben. Traditionelle Werte, familiärer und moralischer Druck, Rollenerwartungen und Religionszugehörigkeit beeinflussten das Verhalten. Frauen waren stärker von ihrem Mann finanziell abhängig, außerhalb der Mutterrolle gab es kaum alternative Lebenskonzepte. Erst die Einführung der Pille führte auch für Frauen zu mehr Selbstbestimmung und Bildungschancen. Das führte zwangsläufig zu mehr Selbstbewusstsein und Autonomie. Sozialpsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Bindungsdauer auch stark vom Vorhandensein alternativer Partner abhängt, ebenso ob gemeinsame Kinder vorhanden sind oder nicht. Und schließlich spielt auch das Kommunikationsverhalten in einer Partnerschaft eine wichtige Rolle. Studien haben gezeigt, dass Partner, die sich gegenseitig selbst offenbaren sowie emotional sichtbar sind, die Bindung stärken. Wenn sie hingegen diesen Aspekt reduzieren, schwächt dies auch die Bindung.
Nehmen wir doch mal eine ideale Beziehung, die lange hält und bei der beide gemeinsam alt werden. Was sind denn die wichtigsten Phasen in einer Partnerschaft?
Man kann grob sagen, dass eine Partnerschaft fünf Phasen durchläuft.
- Verliebtheitphase
- Ernüchterungsphase
- Manipulationsphase
- Bewusstwerdungsphase
- Reife Phase
Verliebtheitsphase
Die ersten Wochen und Monate einer neuen Beziehung sind meistens beglückend, begleitet von Wohlwollen, Empathie und Unbeschwertheit. Dies kommt durch die vermehrte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin und des Kuschelhormons Oxitocin. Wir sind in einem besonderen Bewusstseinszustand, unser Herz ist weit offen und wir können uns gar nicht vorstellen, dass es jemals wieder anders sein könnte. Wir können vergeben, lassen fünf gerade sein und nehmen Dinge nicht so schnell persönlich. Wir sehen das Gute im Anderen und interpretieren sein Verhalten dementsprechend.
Ernüchterungsphase
Leider hält dieser Zustand nicht ewig an, irgendwann kommt sie, die erste Irritation. Wir haben vielleicht einen schlechten Tag, wir sind gestresst, dünnhäutig, Gewohnheiten haben sich eingeschlichen, wir sind nicht mehr so achtsam wie am Anfang der Beziehung. Außerdem haben wir vielleicht zu wenig auf unser Autonomiebedürfnis geachtet und sind vielleicht schon einige Zeit über unsere oder die Grenzen des Partners getappt. So kommt, was kommen muss und wir fühlen uns plötzlich kritisch, genervt, traurig, verunsichert oder sind voller Zweifel. Der Zauber ist weg.
Manipulationsphase
Nun beginnt die Selbstschutzphase, verursacht durch erste Reibereien. Man kann diese Phase auch die unbewusste oder unreife Phase nennen. Durch die Beziehung werden alte Wunden in uns aufgewühlt, wir lassen diesen Menschen näher als andere an uns heran und dadurch kommen verletzliche Seiten ans Licht, die im normalen Alltag mit Freunden oder Kollegen überhaupt nicht sichtbar wurden. Unerfüllte Wünsche und Bedürfnisse und uralte Verletzungen werden auf den Partner übertragen. Das löst dann beim Gegenüber Abwehrstrategien hervor.
Alte bereits in der Kindheit erlernte Beziehungsmuster werden aktiviert, die häufig fürs Erwachsenenleben nicht mehr tauglich sind. So sagen wir in einem Konflikt vielleicht nicht ehrlich, wie wir uns fühlen, sondern sagen Ja und Amen. Möglicherweise reagieren wir auch pampig, so wie früher in der Pubertät, oder es ist ein derart wunder Punkt getroffen, dass wir aus der Haut fahren. Wir kommen in die Rolle, etwas zu müssen oder zu sollen, oder in die alte Ohnmachtsrolle, etwas nicht zu bekommen, was wir so schmerzlich brauchen. Als Erwachsener haben wir die Möglichkeit, auch unser Gegenüber wahrzunehmen und zu verstehen und eine Lösung zu finden, die für beide gut ist. In dieser Phase schaffen wir das meist noch nicht so gut, da Konflikte uns so triggern, dass wir in den Stressmodus umschalten und unser Gehirn dann nur im eingeschränkten Modus funktioniert. Daher reagieren wir in dieser Phase oft so unreif wie ein Kind und fallen in unsere frühen kindlichen Verhaltensmuster zurück.
Bewusstwerdungsphase
In dieser wichtigen Phase kommt es allmählich zu einer Balance zwischen Ich, Du und Wir. Vom kindlichen Bedürfnis, mit dem anderen zu verschmelzen finden wir zu einem eigenen, stabilen Selbst, das unabhängig vom Partner inneren Halt findet. Damit einher geht, dass wir achtsamer werden und mit uns selbst wertschätzend umgehen. Auch wenn der Partner einmal “betriebsblind” ist, lassen wir uns von der situativen “Unreife” nicht mehr so häufig anstecken. Auch wenn es uns im ersten Moment ärgert, verletzt oder verunsichert, können wir uns selbst beruhigen, wenn es mal schwierig mit dem Partner wird, so dass solche Situationen keine Krise hervorrufen und auch der Partner schnell wieder einlenken kann.
In dieser wichtigen Phase sind wir nicht mehr so getriggert, weil wir das Verhalten des anderen nicht mehr so persönlich nehmen. Dadurch verhalten wir uns angemessener, wir reagieren nicht mehr über und lassen auch niemanden mehr an die Wand fahren. Wir bleiben emotional erreichbar. Dazu gehört auch, dass wir unser eigenes Verhalten hinterfragen und dadurch auch selbst weniger beziehungsfeindliches Abwehrverhalten zeigen. Wenn wir uns selbst verstehen, können wir auch den Partner mit der selben Wertschätzung behandeln. Wir nehmen dann auch während eines Konfliktes wahr, dass unser Partner verletzlich ist.
Reife Phase
Wenn wir in unserer Mitte ruhen, unsere Hausaufgaben gemacht haben und innerlich aufgeräumt sind oder die Fähigkeit erlernt haben, dies bei Bedarf zu tun, können wir uns mit unserem Partner tief verbinden, wir kennen unsere Grenzen, verlieren uns selbst nicht mehr, wir müssen nicht mehr konkurrieren und sind auch nicht mehr durch Blindheiten des Partners verunsichert. Wir gestehen es ihm zu. Aber auch uns selbst und plagen uns nicht unnötig mit Schuldgefühlen. Die Waffen sind nun unnötig geworden, unser Herz ist offen und wir sehen uns auf Augenhöhe mit gegenseitigem Mitgefühl und Wertschätzung. Es gibt keine Täuschungen mehr, wir projizieren unsere Themen nicht mehr auf den anderen, weil sie uns bewusst geworden sind. Wir brauchen keine Manipulationen mehr, weil wir Machtkämpfe aufgegeben haben. Wir geben, weil wir innerlich reich sind, und nicht um zu bekommen. Wir sind ehrlich miteinander und verstecken unsere Gefühle nicht mehr voreinander, in Respekt und Achtung.
Dieses Kribbeln ganz am Anfang, woher kommt das denn und vor allem, warum verschwindet es irgendwann?
Positiv wahrgenommen und gespiegelt zu werden, ist ein großartiges und tief beglückendes Gefühl. Wenn der Andere unsere besten Eigenschaften würdigt und liebt, erhält unser gebeuteltes Selbst eine berauschende Aufwertung. Weil es so angenehm ist, ist es sehr anziehend und wir geben dies gerne zurück. Dies ist genauso ansteckend im Positiven, wie die Abwertung im Negativen und erklärt, weshalb im Konfliktfall der geliebte Mensch sich plötzlich um 180 Grad gedreht hat. Wenn wir uns nicht verstanden fühlen, flüchten wir hinter unser bevorzugtes Versteck Flucht, Angriff oder Erstarrung. Weil das so unangenehm ist, versuchen wir, dieses schreckliche Gefühl abzuwehren. Wir zeigen unsere Verletzlichkeit und unsere weiche Schale nicht mehr, sondern schützen sie mit einer freundlichen, aber coolen und unnahbaren Fassade oder einer taffen herausfordernden aber verurteilenden und abweisenden Art. Da bekommt selbst die heißeste Liebe kalte Füße.
Welches ist denn die kritischste Phase während einer Beziehung?
Das ist der Eintritt in die Ernüchterungs‑, spätesten dann die Manipulationsphase. Je emotional unreifer die Partner sind, und je abhängiger sie sich vom anderen Partner machen, umso zerstörerischer das Abwehrverhalten für die Beziehung. Hinzu kommen dann Belastungen im Alltag wie beruflicher, emotionaler oder finanzieller Stress, Überforderungssituationen, Schwangerschaft, die Geburt eines Kindes, Belastungen durch Familie oder Kinder, Krankheiten oder Schicksalsschläge. Wenn dann die Beziehung in die Ernüchterungs- oder Manipulationsphase kommt, wird der Partner zu einem weiteren Stressor in solch einer kritischen Zeit.
Im idealen Fall kann sich eine Beziehung außerordentlich vertiefen, wenn gemeinsam eine so schwierige Zeit bewältigt wurde und beide Partner daran gewachsen sind.
Gibt es einen Punkt, ab dem man sagen kann, ab dem ist alles unter Dach und Fach, ab dann muss man sich bis ins hohe Alter keine Sorgen mehr machen?
Eigentlich nicht. Man sollte nicht einschlafen, sonst besteht die Gefahr, dass sich die Liebe leise davon stiehlt. Ganz wichtig ist es auch, eigene Interessen zu entwickeln und zu pflegen, und den Sinn fürs Leben nicht nur in der Partnerschaft zu suchen. Sonst wird man schnell unattraktiv für den Partner und verliert seine natürliche Lebendigkeit. Daher ist es sehr wichtig, dass beide Partner wach füreinander bleiben, achtsam sind, die eigenen Grenzen und die des anderen respektieren und sich selbst genauso viel Wertschätzung entgegenbringen wie dem Anderen.
Egal ob Freundschaft oder Beziehung, Krisen gibt es immer wieder. Welche gehören denn einfach dazu, besonders bei einer Partnerschaft?
Die ganz normalen Stressoren des Lebens. Sobald einer der beiden in stressigen Zeiten die emotionale Verbundenheit verlässt, durch Mauern oder emotionales Agieren, und beide sich darin so verstricken dass sie sich verhaken, ist die Krise da. Heraus kommt man wieder durch Abstand, Freiraum, Achtsamkeit und als esten Schritt Selbstmitgefühl. Erst wenn man die eigenen Schwächen annimmt und die Bedürfnisse darunter versteht, dann kann man auch den Partner mit seinen blinden Flecken besser verstehen und annehmen.
Die wichtigsten Stressoren für Krisen in einer Beziehung sind Fremdgehen, Unehrlichkeit, Unzuverlässigkeit, Häufige Streitereien, mangelnde Empathie, Sucht, Zwänge, Meckern und Mauern.
Was hat es denn mit dem verflixten siebten Jahr auf sich?
Bis dahin hat ein Paar in der Regel alles ausprobiert, was es an Konfliktlösestrategien kennt. Wenn einer von beiden sich nicht weiterentwickelt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Konflikte sich so chronifiziert haben, dass die Liebe darin keinen Boden mehr findet. Dann braucht es häufig nur noch einen äußeren Auslöser, und es kommt zu einer Trennung — oder zu einem Update, das dann in eine reifere Beziehungsphase führt. Hier kann Paartherapie wertvolle Hilfe leisten.
Gibt es ein Geheimrezept oder zumindest ein paar Zutaten, die für eine erfolgreiche Beziehung unerlässlich sind?
Es gibt kein Patentrezept, aber wer Achtsamkeit gelernt hat, sich selbst reflektieren kann, zuerst die eigenen Anteile an konflikthaften Geschehen erkennen kann, die Fähigkeit besitzt, die eigene Mitte zu finden und bereit ist, die eigene Verletzlichkeit und die des Partners anzunehmen, hat gute Chancen, eine erfüllende Beziehung zu leben und zu erhalten. Das Wichtigste von Allem ist es, zu erkennen, wenn wir getriggert sind und statt im Autopilot unser altes Abwehrmuster zu zelebrieren, innezuhalten und still zu werden. Wenn wir uns mit dem verbinden können, was gerade in uns passiert, wird der Partner nicht mehr zur Projektionsfläche und die Liebe kann leise wieder kommen.
Eine Beziehung verändert sich, inwiefern ist es denn nötig, dass man sich auch selbst ändert?
Starrheit und Unbeweglichkeit sind der Tod einer Beziehung. Beziehung ist Kommunikation, Eindruck, Ausdruck, wie der Ein- und der Ausatem. Beziehung hat sehr viel mit Lebendigkeit und stetiger Veränderung zu tun. Die Veränderung schafft neue Impulse und Anreize, fordert Lernbereitschaft und Wachstum und hält uns dadurch wach.
Andersherum ginge es ja theoretisch genauso: statt sich selbst zu ändern, versucht man den Partner sich passend hinzubiegen. Eine gute Idee?
Wer das ausprobiert hat, weiß, dass es selbst, wenn es gelingt, nicht sehr viel Freude bereitet. Denn wenn der Partner uns alles recht macht, wird er schnell langweilig und wir haben das Gefühl, nicht wirklich seelisch mit ihm verbunden zu sein. Das Gefühl für tiefe Nähe will sich nicht so recht einstellen. Wir alle sehnen uns nach einem ehrlichem, lebendigen und spürbaren Gegenüber.
Es ist nicht attraktiv und anziehend ein heimlich leidendes Opfer zu lieben. Jedenfalls nicht als erwachsener Mann oder Frau. In dieser Konstellation wird die Liebe wenig Chance haben, da echte Begegnung nicht stattfinden kann.
Wenn etwas nicht passt, müssen beide hinschauen und an Lösungen interessiert sein, die beiden gerecht werden. Dies erfordert Mut und Ehrlichkeit von beiden.
Zu einer Beziehung gehört auch ein Sexleben, unterliegt das im Laufe der Zeit auch Veränderungen, die für Frischverliebte vielleicht etwas besorgniserregend klingen aber normal sind?
Sex drückt auf der körperlichen Ebene die Art der aktuellen Mann-Frau-Beziehung aus. Sind beide emotional, im Herzen und in ihrer Lebendigkeit miteinander verbunden, zeigt sich das in der Regel auch sexuell. Gibt es eine wertschätzende und nährende erwachsene Mann-Frau-Ebene, zeigt sich das meist auch in einer erotischen prickelnden sexuellen Energie zwischen beiden Partnern, wenn beide eine ähnlich ausgeprägte Libido und ähnliche Bedürfnisse besitzen. Wenn da sehr große Unterschiede bestehen, kann das schwierig sein und verursacht für beide häufig enorme Kränkungen und Stress. Wenn im Bett nicht mehr viel läuft, der Apetitt aber noch da ist, lohnt es sich oft, mit Hilfe eines Therapeuten auf die Ursachen zu schauen. Wichtige Fragen wären dann: Liebe ich? Vertraue ich? Begehre ich?
Auch hier spielt das Innehalten bei Unsicherheit und Verletzlichkeit eine wichtige Rolle. Darüber hinwegzugehen ist oft längerfristig das Sterben des Begehrens.
Natürlich unterliegt auch diese Form der Kommunikation den Phasen und aktuellen Umständen einer Beziehung. Stress wirkt sich nicht nur verbal, emotional und für die Liebe häufig schwächend aus, sondern natürlich auch auf das Sexualleben. Ein wertschätzender, ehrlicher und lebendiger Umgang ebenso.
Der Text spricht mich sehr an und hat mir geholfen, in dem mir Zusammenhänge aufgezeigt und erklärt hat. Vieles kann ich nun besser verstehen.
Der Text macht mir Mut und Lust die erkannten Probleme/Herausforderungen anzugehen. 😉