Warum fällt das Loslassen bloß so schwer?

Warum tun wir uns so schwer etwas loszulassen – sei es die alte Lieblingsjeans oder die Beziehung, die uns eigentlich nicht mehr gut tut?

Zunächst ein­mal hän­gen wir ja an alten Gewohn­heit­en, weil sie uns Sicher­heit geben. Die Lieblingsjeans erin­nert uns an gute Gefüh­le und Momente, in denen wir uns selb­st gemocht haben. Da hängt viel mehr dran, als nur die Jeans. Ähn­lich ist es mit der ewigen schon anges­taubten Beziehung. Wir stre­it­en nur noch, oder haben uns kaum noch was zu sagen, und den­noch ver­set­zt uns der Gedanke an ein Tren­nung in Panik. Das mit der Beziehung ist natür­lich wesentlich kom­plex­er, da da ja auch noch Beziehungs­dy­namiken ins Spiel kom­men, wir haben ja auch bes­timmte Ver­hal­tensweisen gegen­seit­ig delegiert, z.B. der Part­ner ist der Ordentliche, ich die Chao­tis­che, der Part­ner küm­mert sich immer um den Urlaub, ich um die Woch­enendgestal­tung…. Um das mal stark vere­in­facht auszu­drück­en. Die Frage taucht auf: Wer bin ich denn eigentlich jen­seits dieser einge­fahre­nen Ver­hal­tens­muster? Wer bin ich, aus einem anderen Blick­winkel (nicht aus dem des Part­ners) her­aus?

Warum ist der Mensch ein “Gewohnheitstier”?

Gewohn­heit­en ver­mit­teln uns Ver­trautheit, selb­st schlechte Gewohn­heit­en. Wir kön­nen in den Autopi­loten ver­fall­en, uns gehen lassen, das Gehirn meldet keine Gefahr, wir kön­nen uns entspan­nen, da unser Ner­ven­sys­tem die dafür zuständi­gen Boten­stoffe sendet oder uns zumin­d­est das Gefühl gibt, auf ver­trautem Ter­rain zu sein. Das ver­mit­telt Sicher­heit. Wir kön­nen uns in solchen Momenten vom All­t­agsstress erholen.

Was passiert beim “Loslassen”, bei so einer “Trennung” in uns?

Es kommt natür­lich stark darauf an, was wir loslassen. Je angenehmer, wichtiger und exis­ten­tieller es ist, was wir loslassen müssen, umso schw­er­er ist es. Dann entste­ht eine Trauer­reak­tion, wir wollen daran fes­thal­ten, wir kön­nen es nicht fassen, wir wehren uns dage­gen, es zu akzep­tieren, wir wer­den wütend, fall­en in eine Art Leere und so weit­er. Dann kommt es natür­lich auch darauf an, ob wir es frei­willig loslassen, oder es uns von außen aufgezwun­gen wird. Das Loslassen hin­ter­lässt auf jeden Fall eine Lücke, da ist plöt­zlich Platz gewor­den, der noch nicht beset­zt ist. Dieser wird dann eben oft erst ein­mal mit inten­siv­en Gefühlen gefüllt (Trauer, Wut, Euphorie, Zuver­sicht, Angst etc.).

Und wenn es gut gelöst wird, kann daraus etwas wun­der­bar Neues entste­hen, ein neues Hob­by, eine gesün­dere Lebensweise, längst brach­liegende Tal­ente kön­nten ent­deckt wer­den, man begin­nt, etwas Neues zu ler­nen, das Leben ist wieder inter­es­sant.

Es gibt natür­lich auch die andere Seite, wenn wir die Lücke in uns nicht füllen kön­nen, kann daraus auch eine Depres­sion entste­hen oder andere For­men um den Schmerz darüber zu kom­pen­sieren.

Können wir “Loslassen” lernen — wenn ja, wie?

Wir kön­nen ler­nen, den natür­lichen Prozess des Lebens, näm­lich dass sich alles ständig verän­dert, bewusst wahrzunehmen und zu beobacht­en. Dies kann man her­vor­ra­gend in Acht­samkeitssem­inaren ler­nen. Nach ein­er Weile kön­nen wir bemerken, dass das Loslassen und Mitschwin­gen mit dem aktuellen Augen­blick ein wun­der­bares Wohlge­fühl ver­mit­telt. Wer das übt, begin­nt, diesen Zus­tand immer wieder haben zu wollen und  bei regelmäßi­gen Prak­tizieren z.B. von Med­i­ta­tion, Yoga oder Ähn­lichem lernt das Gehirn, danach zu ver­lan­gen, wie nach einem Schluck Wein oder ein­er Zigarette.

Was passiert in unserem Gehirn beim “Loslassen” und bei Veränderungen?

Wir sind gezwun­gen, aus dem Autopi­loten aufzuwachen, da das Gehirn unsere volle Aufmerk­samkeit ver­langt. Die Konzen­tra­tion auf die Gegen­wart, wenn sie nicht beängsti­gend ist, set­zt bes­timmte Boten­stoffe frei, die uns Wohlbe­ha­gen ver­mit­teln. Das fühlt sich an, wie nach dem Sport. Wir fühlen uns glück­lich, der Kopf ist frei, wir mögen uns selb­st. Wenn wir allerd­ings nicht in die Hand­lung kom­men und das Loslassen nur im Kopf stat­tfind­et und wir uns in Gedanken verir­ren, sendet das Gehirn Stresshormone, die unsere Gedanken in sehr neg­a­tive Rich­tun­gen lenken. Stress­be­d­ingt verspan­nen wir uns, wir wer­den immer star­rer, sehen alles wie in einem Tun­nel­blick wie durch eine trübe Brille. Das ist in gewiss­er Weise eine Art Hyp­nose.

Schlimm­sten­falls kom­men wir da alleine nicht mehr her­aus und benöti­gen pro­fes­sionelle Hil­fe. Die beste­ht dann darin, uns wieder zurück in die Gegen­wart zu holen, uns sozusagen in die Real­ität zurück­zube­fördern. Auch das ist eine Art Loslassen, so wie aus einem schreck­lichen Traum her­auszukom­men.

Den Ver­lust gibt es zwar immer noch, aber die vie­len schö­nen anderen Dinge des Lebens auch. Natür­lich kommt es stark auf den Ver­lust an. Men­schliche Ver­luste lösen oft starke Trauer­prozesse aus, die ver­schiedene Phasen haben. Wenn man aber Jahre darin steck­en bleibt, ist es sin­nvoll, sich Hil­fe zu suchen.

Inwiefern hilft uns eine positive oder auch negative Veränderungserfahrung bei künftigen  Veränderungen?

Die Erfahrun­gen spie­len eine große Rolle. Men­schen, die sich im Leben nur sel­ten verän­dern, reagieren bei Verän­derun­gen natür­lich viel gestresster, weil ihnen die Erfahrung fehlt, die Sicher­heit, dass alles gut gehen wird. Jemand, der gewohnt ist, Dinge zu verän­dern, hat bere­its halt­gebende Fähigkeit­en gel­ernt, die ihm helfen, mit der damit ein­herge­hen­den Unsicher­heit umzuge­hen.

Inwiefern gehören “Bindung” und “Neugier” zusammen?

Irgend­wie ste­hen sich die bei­den Begriffe erst­mal gegenüber. Bindung hat viel mit Sicher­heit zu tun, mit Fes­thal­ten, das Bewährte erhal­ten. Im Guten wie im Schlecht­en. Neugi­er hat mit Beweglichkeit zu tun, Wach­heit, Offen­heit, Dinge aus der eige­nen Mitte her­aus zu tun, den eige­nen Impulsen zu fol­gen. In reifen Part­ner­schaften fördert diese Fähigkeit eine tiefe Bindung. In unreifen Part­ner­schaften führt es oft zu ein­er viele­icht zu schnellen Tren­nung. 

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