Die Kinder sind aus dem Haus, der Partner ist weg: Jeder von uns hat sich schon einmal alleine gefühlt. Es ist keine gute Idee, sich in die nächste Partnerschaft zu stürzen oder sich vom Gefühl des Allein-Seins abzulenken. Denn: Allein-Sein ist existentiell und die Angst davor kann sogar Beziehungen schaden.
Warum haben manche Menschen Angst davor, alleine zu sein?
Wir haben ein angeborenes Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Man könnte vereinfacht sagen, dass das Bindungsbedürfnis aufgrund unserer Verletzlichkeit bei der Geburt überlebensnotwendig ist. Erst später, etwa mit Beginn des 2. Lebensjahres, beginnt sich auch der Wunsch nach Autonomie zu entwickeln, die sogenannte Trotzphase. Man könnte vereinfacht sagen, dass das Bindungsbedürfnis aufgrund unserer Verletzlichkeit bei der Geburt überlebensnotwendig ist.
Woher kommt die Angst vor dem Alleinsein?
Wenn wir uns vor Augen führen, dass das Gehirn eines Neugeborenen im Vergleich zu Säugetieren erst nach etwa einem Jahr einen vergleichbaren Reifungszustand erlangt, ist es schon rein aus evolutionärer und biologischer Sicht heraus verständlich, dass Allein-Sein als etwas bedrohliches wahrgenommen wird, da wir als Baby allein nicht überleben könnten. Wir haben somit das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz. In einer Gruppe können wir uns geborgen fühlen. Wenn wir älter werden, brauchen wir Menschen, die uns emotional und sozial spiegeln, damit wir herausfinden, wer wir sind.
Wie äußert sich diese Angst?
Manche Menschen klammern, andere fühlen sich wie betäubt und haben keinen Zugang mehr zu ihren Gefühlen. Viele Menschen erleben in diesem Zusammenhang auch Panikattacken. Ängste können sich auf unzählige Art und Weise zeigen, manchmal auch durch Zwänge, Süchte und psychosomatische Erkrankungen. Manche Menschen neigen dazu, sich aus Angst in Bindungen zu flüchten, andere in die Unabhängigkeit, da das weniger Risiko bietet, verletzt zu werden.
Ist es klug, nach einer Beziehung gleich die nächste zu beginnen?
Wenn eine Beziehung zu Ende geht, hinterlässt das in den meisten Fällen Traurigkeit, Wut, Angst, Selbstzweifel, Scham und andere schwer aushaltbaren Gefühle. Es ist verlockend, sich schnell durch eine neue, euphorisierende Verliebtheit davon abzulenken. Früher oder später ist auch diese Verliebtheit vorbei und nicht aufgearbeitete Selbstzweifel kommen wieder an die Oberfläche. Möglicherweise ist dies gar nicht bewusst. Oft zeigt es sich durch immer wiederkehrende destruktive Beziehungsmuster, die uns scheinbar verfolgen. Immer wider suchen wir uns den “falschen” Partner, immer wieder erleben wir dieselben Enttäuschungen. Daher ist es sinnvoll, nach dem Ende einer Beziehung eine Pause einzulegen und mit möglichst viel freundlicher Selbstreflektion genau hinzuschauen. Niemand ist jeden Moment präsent und achtsam, manchmal sind wir in Beziehungen so sehr in alten Mustern gefangen, dass wir den Anderen nicht wahrnehmen. Wir sind “betriebsblind” und reagieren unangemessen. Wenn wir nach einer Beziehung solche Momente ehrlich reflektieren, beginnen wir vielleicht zu verstehen, wie auch wir zur Trennung beigetragen haben.
Wenn wir diesen Schmerz, den wir uns selbst und dem Anderen zugefügt haben, wahrnehmen, können wir ihn allmählich anerkennen und liebevoll umarmen, so wie eine gute Mutter, die ihrem Kind hilft, sich selbst zu verstehen.
Im nächsten Schritt gelingt es uns dann vielleicht, zu lernen, dass es beziehungsfreundlichere Strategien gibt, das sogenannte “innere Kind ” zu schützen. Das alles braucht Zeit und viel Selbstmitgefühl. Und sicherlich auch die eine oder andere Träne.
Die Kinder sind aus dem Haus, ich bin wieder alleine mit dem Partner. Aber ich weiß nichts mit mir anzufangen. Warum?
Und plötzlich sind wir verheiratet, beruflich etabliert, haben eine Familie und. unsere Kinder wachsen heran. Der Alltagstrott hat uns in seinen Fängen. Oftmals verlieren wir uns dann selbst aus dem Auge. Nicht nur Frauen berichten, dass sie nur noch funktionierten und das Gefühl haben, es allen recht machen zu müssen. Es gibt so viel zu tun, die Liste der Aufgaben scheint nie ein Ende zu haben. Wenn dann die Kinder aus dem Haus sind, fällt es uns vielleicht zum ersten Mal auf, dass wir nicht nur uns selbst aus den Augen verloren haben, sondern auch den Partner. Wir müssen uns vielleicht neu kennenlernen. Vielleicht haben wir ungünstige Kommunikationsmuster entwickelt, manchmal kommt die Zärtlichkeit abhanden, viele berichten, dass die Sexualität eingeschlafen ist. Letztendlich müssen wir lernen, sehend zu werden. Die Ehe ist in eine neue Phase gelangt.
Wirklich zueinander finden können wir nur, wenn wir den Anderen so sehen können, wie er ist.
Wir wissen, was wir aneinander haben, wir wissen, wo unsere Grenzen sind. Manchmal bedeutet es aber auch, den Partner neu zu sehen. Vielleicht können wir neue, interessante Dinge miteinander entdecken. Vielleicht haben wir uns auch auseinander gelebt und uns so verändert, dass wir uns gar nicht mehr miteinander verstehen. Wenn wir neugierig und annehmend sind, kann sich die Beziehung dahingehend verändern, dass wir uns beide damit wohlfühlen. Das bedeutet nicht immer, dass wir als Liebespaar zusammenbleiben.
Wie kann man das Alleinsein trainieren?
Alleinsein kann auf eine sehr angenehme Art durch Meditation und Achtsamkeit erlernt werden. Wer regelmäßig übt, lernt schnell die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten. Im Zustand der Meditation sind wir nicht mehr so stark im Kopf, denken nicht an die Vergangenheit oder Zukunft, sondern lernen, mehr im Hier und Jetzt zu sein, indem wir beispielsweise auf den Atem achten, angenehme Musik hören, ganz bewusst etwas Leckeres essen oder auch den Geruch der Natur wahrnehmen. Wir nutzen unsere Sinne, sind mehr im ganzen Körper präsent. Dadurch sind wir ruhiger, positiver und fühlen uns im Allgemeinen verbunden mit der Welt. Das Gefühl der Einsamkeit verschwindet.
Ich fühle mich alleine und verspüre Angst. Was ist das Beste, was ich in dieser Situation tun kann?
Aus Angst heraus unter Leute zu gehen, könnte die Angst verschlimmern. Regel Nummer eins: Die Angst bemerken. Wenn wir einen Augenblick innehalten, sie freundlich begrüßen und uns innerlich voller Mitgefühl neben sie setzen, ist sie schon nicht mehr so schlimm. Wenn wir dann versuchen, die Angst in unserem Körper zu lokalisieren, vielleicht eine Hand dorthin legen und sanft zu dieser Stelle hin atmen, bewirkt das häufig eine deutliche Entlastung.
Normalerweise tun wir das Gegenteil: Wir halten die Luft an, ziehen uns innerlich zusammen und versuchen, uns zu betäuben, um das ungeliebte Gefühl der Angst nicht zu spüren.
Wir fallen sozusagen in eine Art Trance. Durch das bewusste Wahrnehmen der Angst werden wir wieder wach für die Gegenwart, dehnen uns sozusagen aus und die “Hypnose” hört auf. Alles, was mit dem Körper zu tun hat, wirkt ebenfalls dehypnotisierend und die Angst hört schnell auf. Das liegt daran, dass Angst durch Gedanken verursacht wird. Wenn wir uns auf den Körper konzentrieren, sind wir nicht mehr im Kopf. Ein weiterer Trick ist es, etwas Neues zu lernen. Unser Kopf ist dann so sehr damit beschäftigt, dass kein Platz mehr für die Angst ist. Alles was unsere ganze Konzentration auf etwas Neutrales oder Positives lenkt, ist hilfreich. Das kann sogar die Arbeit sein. Natürlich sollten wir aufpassen, dass wir uns nicht in Aktivitäten flüchten. Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Angst braucht Aufmerksamkeit, Zuwendung, Verständnis und Beruhigung. Tu also so, als wäre sie ein Kind.
Warum ist Alleinsein so wichtig?
Allein-Sein ist existentiell wichtig. Man könnte sagen, es ist der Gegenpol zur Nähe zu Anderen. Wenn wir nicht ab und zu zwischen den beiden Polen hin und her pendeln, verlieren wir uns. Das kann zu tiefsten Selbstzweifeln, Verwirrtheit und Depression führen sowie vielen anderen Symptomen wie zum Beispiel auch Sucht und Zwängen. Allein-Sein könnte man auch mit Freiraum übersetzen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht im Zusammensein mit Anderen innerlich frei sein können. Eine glückliche Partnerschaft hat viel damit zu tun, dass wir auch im Beisein eines Anderen gut bei uns selbst bleiben können.
Kann die Angst vor dem Allein-Sein einer Beziehung schaden?
Selbstverständlich. Angst ist ein Beziehungskiller. Wen man es genau nimmt, schließt Angst echte Verbundenheit aus. Angst führt dazu, dass wir uns zusammenziehen und eng werden, wir bekommen einen Tunnelblick. Durch Angst fallen wir aus der Gegenwart und werden blind für das, was tatsächlich geschieht. Vor allem nehmen wir uns selbst nicht mehr richtig wahr, weil wir mit Stresshormonen überflutet sind. Eine grundmenschliche Reaktion ist es, Angst abzuwehren, weil sie so unangenehm ist. Das heißt, wir sind uns der Angst oft noch nicht einmal bewusst, sondern projizieren sie wild auf unsere Umwelt. Auch wenn niemand davor gefeit ist, ist es nicht gerade beziehungsfördernd.